Werbung im Internet: Erste Wege aus einer knietiefen Krise

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Werbung kennt jeder. Wir alle kommen an ihr nicht vorbei und konsumieren sie mehrfach am Tag. Egal ob es Plakate sind, eine Anzeige in einer Zeitschrift oder Zeitung, die Berieselung in Radio- oder TV-Werbespots – letztendlich haben sie alle eines gemeinsam: Je öfter die Werbemaßnahmen und deren Werbebotschaften präsent sind, desto stärker erinnert sich der Rezipient an die Marke. Das gilt auch im Fall von Online-Werbung, die jedoch die Nutzer regelmäßig auf die Palme bringt. Der jüngste Aufruf einzelner Portalbetreiber, auf den Einsatz von AdBlockern zu verzichten, markiert einen Höhepunkt der seit langer Zeit schwelenden Diskussion um Online-Werbung. Die Werbung im Internet steckt in einer knietiefen Krise.

Online-Werbung hat Veränderungsprozesse nicht berücksichtigt

Werbetreibende, Portalbetreiber, Vermarkter, Mediaagenturen und nicht zuletzt die Nutzer als Rezipienten – alle fünf Fraktionen sitzen gemeinsam an einem Tisch. Entgegen der bekannten Werbelogik hält in Sachen Online-Werbung mittlerweile der Nutzer das Ruder in der Hand. Die Wahrnehmungsintensität von Werbung ist durch unsere hochgradige Dialogbereitschaft mittlerweile wesentlich abhängiger vom thematischen Involvement der Rezipienten. Der werbliche Input wird in sofern transformiert, so dass unsere Sinne die Botschaften individuell verarbeiten. Wir reagieren nicht mehr wie die Lämmer vor der werblichen Schlachtbank und blöken die Werbebotschaft, sondern öffnen oder verschließen uns davor in Abhängigkeit unseres persönlichen Wertgefühls.

Egal ob Nachrichtenseiten, Boulevardportale, Blogs und Foren sowie Social Networks – die Vielzahl an kostenfreien Informationsquellen bieten Nutzern genau die Inhalte, welche für sie von wahrem Interesse sind. Entgegen des eingeschränkten Mediennutzungsverhaltens bei Print, Radio und TV, wo zwischen einigen wenigen Angeboten gewechselt wurde, die allesamt zu einem überschaubaren Markt gehören, entscheidet der Nutzer im Internet nicht nur zwischen einigen vielen, sondern unzähligen Online-Angeboten, die wirklich jedes thematische Bedürfnis jeglicher Nachfrage decken.

Online-Werbung gilt als effektiv und effizient – diese Fakten haben unzählige Studien bewiesen. Kein Wunder also, dass Online-Werbung mittlerweile als Alpha und Omega bei jedem Unternehmen gilt, das seine Werbebotschaft möglichst in den Köpfen der potenziellen Zielgruppen verankern möchte. Relativ günstig erreicht man zielgruppenrelevante Nutzer. Moderne Mechanismen wie Targeting, Re-Targeting und nutzungsbasierte Online-Werbung erleichtern Werbetreibenden noch stärker den Zugang zum potenziellen Kunden. Alles ganz schön, alles ganz nett, und wertvoll für die gesamte Online-Werbeindustrie. Schließlich finanziert Werbung die Inhalte, die von uns allen konsumiert werden. Während die Werbeausgaben im TV und Hörfunk mäßig wachsen und teilweise stagnieren, schwinden die Werbebudgets für das Anzeigengeschäft klassischer Printmedien. Hingegen floriert das digitale Werbemedium im Internet und erfährt jedes Jahr neue Wachstumsschübe. Spätestens zur dmexco im September eines jeden Jahres verkündet die Online-Werbewirtschaft die neuen Marktzahlen und Prognosen, die den branchenbedingten Erfolg aufzeigen.

Was dem gesamten Markt trotz aller Höhenflüge hingegen fehlt, findet sich in der mangelnden Anpassungsfähigkeit des Online-Werbemarkts. Egal ob es blinkt oder flackert, sich die Werbung aufzieht, aufrollt oder aufpoppt – das erklärte Ziel ist die Gewinnmaximierung für vier der fünf Teilnehmer am runden Tisch der Online-Werbung. Die Nutzer und ihre Interessen blieben jahrelang auf der Strecke.

Nutzer nehmen Marken differenzierter wahr

Aber unsere Markenwahrnehmung hängt bei weitem nicht mehr allein von der ausgespielten Werbung und den übermittelten Werbebotschaften ab, sondern wird von der Gesamtheit aller „Marken-Kontakte“ beeinflusst. Audio-visuelle Reizüberflutung, individuelle Erlebnisse mit Produkten und Dienstleistungen sowie persönliche Gespräche und Erfahrungen aus Social Media und den Medien prägen uns stetig auf ein Neues. Als Ergebnis dieser Markenwahrnehmung, dem Output der kanalisierten Werbebotschaft, erzeugen wir ein personalisiertes Abbild der ursprünglichen Werbebotschaft – und erzeugen multiple Szenarien für die Kundenbindungs- und Kundengewinnungsfähigkeit von Marken, ihren Produkten und Dienstleistungen.

Menschen nehmen konsequent unzählige Werbebotschaften wahr. Selbst werberesistenten Menschen spielt das Unterbewusstsein einen Streich durch die Rechnung. Das beste Beispiel für die Markenwahrnehmung zeigt sich bei Automarken, die intensiv über alle Kanäle hinweg beworben werden. Nicht nur seit gestern, sondern seit Jahrzehnten. In der Regel kann bei einer einfachen Befragung jeder Rezipient mindestens drei verschiedene Automarken aufzählen, ohne dass eines der Autos jemals selbst gefahren wurde: „BMW, Mercedes und Audi“ oder „VW, Opel und Mazda“ gehen schnell über die Lippen. Gleiches Spiel wiederholt sich bei nahezu allen anderen Produkten, die von Werbetreibenden plakativ kommuniziert werden, z.B. „Katjes, Lachgummi und NimmZwei“ oder „Ariel, Persil und Spee“. Im Idealfall spricht man natürlich von Markentreue, denn sobald der Rezipient nicht nur die Marke selbst als Begriff kennt, sondern die Produkte eigenständig konsumiert, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der Kunde der Marke treu bleibt. Gewiss spielt die Markenloyalität bei einer klaren Präferenz zu einer Marke als Markenbekenntnis eine gewichtige Rolle, selbst wenn andere Produkte ein besseres Preis-Leistung-Verhältnis anbieten. Kurzum: Alle uns bekannten Marken und produzierenden Unternehmen setzen auf Werbung. Ohne die Werbung würde niemand von uns die Automarken so plakativ aus der Pistole schießen können. Der Großteil der Bevölkerung ist bestimmten Marken treu, weil unsere Eltern und Großeltern mit hoher Wahrscheinlichkeit genau diese Marken selbst in unserer Kindheit verwendet haben – und weil viele von uns einfach zu viel Fernsehen in der Kindheit und Jugend schauten. Durch diese mediale Reflektion und Omnipräsenz von Werbung wird unser Denken vereinfacht. In manchen Fällen verhindert Werbung bei gewissen Zielgruppen sogar das Nachdenken.

Im Fall von Online-Werbung scheiden sich immer wieder die Geister. Zwar bietet das Internet seit Ende der 90er Jahre ebenfalls die Möglichkeit, einen zusätzlichen Kommunikationskanal für die Distribution von Werbebotschaften im Umfeld der digitalen Inhalte einzusetzen. Aber trotz der Vielfalt an Inhalten missfällt es den Nutzern, einen kleinen Teil ihrer Aufmerksamkeit der Refinanzierung dieser Inhalte zu schenken.

Nutzer signalisieren zunehmend Kritik an traditioneller Werbelogik

Im Sinne der klassischen Kommunikationslehre übermittelte einst der Sender über einen oder mehrere bestimmte Kanäle respektive Medien die Botschaft an einen Empfänger. Beim Broadcast wird der Empfänger als kleinster gemeinsamer Nenner, also die gewünschte Zielgruppe definiert. Die ursprüngliche Rückkopplung von Empfänger zu Sender wurde bei Print, Radio und TV auf ein Minimum gepresst. Leserbriefe oder Anrufe in Hotlines verbesserten die Werbung in diesen Medien nicht – Leser, Hörer und Zuschauer wurden als Lämmer wahrgenommen, aber ihre Kritik nur selten aufgegriffen. In Zeiten von Facebook, Twitter, YouTube oder Google+ wurde dieser Rückkanal auf ein kommunikatives Maximum ausgeweitet. Mit einigen dieser Auswüchse, dem dialogorientierten Treiben der Nutzer, können die anderen Teilnehmer am runden Tisch zur Werbelogik nicht umgehen.

Die Nutzer bemängeln daher zu gutem Recht, dass die Werbung nicht zu Ihnen passt, demnach ihre Interessen, Werte und Überzeugungen nicht anspricht, geschweige denn die Nutzer als Rezipienten animiert, eine positiv behaftete Handlungsfolge bezüglich der Werbung zu aktivieren. Inhalte mit werblichen Informationen werden zudem immer stärker vermischt und zugleich nimmt die Qualität der Inhalte rapide ab. Generell negative Assoziationen der Nutzer schlagen in Form von Datenschutz, Sicherheit, Informationshoheit und anderen teils semi-politischen Entscheidungsfeldern zu Buche.

Diese Themen werden wiederum von zahlreichen Medienmachern verteufelt und zu Top-Themen in ihrer Haus- und Hof-Berichterstattung gemacht, so dass die Nutzer in ihrem Bewusstsein und Wertgefühl deutlich höhere Sicherheitsbedenken vorweisen als noch vor einigen Jahren. Die konsequente Weiterentwicklung unseres Wertgefühls, das mit der einstigen Werbegeneration blökender Schafe nur noch wenig gemeinsam hat, impliziert insbesondere beim Internet eine Abkehr, gar eine Ablehnung der klassischen Werbelogik. Während sich in der logischen Konsequenz die Nutzer von Online-Werbung in vielen Fällen gestört fühlen, entscheiden sich immer mehr Menschen für den Einsatz von AdBlockern.

Konkrete Grenzfälle von Werbung und insbesondere die Fälle, in denen wohl kaum ein Nutzer begeistert von den Werbemaßnahmen ist, finden sich in den folgenden Beispielen bei überlagernden Werbeflächen und insbesondere bei Video-Advertising.

Die Gegenanzeigen sind sehr wohl bekannt…

Überlappende und den Inhalt verdeckende Werbeinhalte stören den Nutzer. Werbetreibende profitieren kaum von potenziellen Klicks auf eingeblendete Werbemittel, zumal die Nutzer solche störenden Werbeeinblendungen in der Regel schließen wollen. Diese vermeintlichen Klicks werden durch den Fehlversuch generiert, das X-Symbol zum Schließen oder Minimieren der Werbemittel zu treffen. Besonders die hohe Verbreitung von Smartphones und Tablets trägt dazu bei, dass der Schließen-Knopf kaum noch zielgenau getroffen wird. Mit den Fingern wird deutlich ungenauer auf dem Display eine Fläche getroffen, die für einen Mauszeiger optimiert ist. Generell werden Nutzer sich nicht ernsthaft mit der beworbenen Marke auseinander setzen, wenn die Marke den Konsum des gewünschten Inhalts verhindert.

Im Bewegtbild-Bereich wirkt Videowerbung genau dann störend, sobald die Werbemittel ohne ein Zutun des Nutzers und damit unaufgefordert aktiviert werden. Ein direktes Abspielen von Video-Ads wirkt noch harmlos, aber sobald die Tonspur lautstark aktiviert ist, entpuppt sich der unaufgeforderte Werbespot binnen Sekundenbruchteilen als Störfaktor. Weil diese Videospots oftmals als Display-Werbung nicht direkt im Contentbereich der Website eingebunden sind, schließen die Nutzer lieber den Browsertab, als den eigentlichen Pause-Knopf zu suchen.

Auf ähnliche Weise wirken 30-Sekünder störend, wenn der eigentliche Videocontent weniger als 60 Sekunden dauert. Insbesondere Nachrichtenportale sollten sich die Berichterstattung über Bewegtbild ersparen, wenn auf 30 Sekunden Werbung nur 35 Sekunden Video folgt.

Es verwundert kaum, dass Nutzer das Ruder selbst in die Hand nehmen möchten. AdBlocker eignen sich hervorragend dafür, die Werbelogik im Internet auseinander zu hebeln. Bei allen anderen klassischen Mediengattungen ist das Produkt fertig und nahezu kaum durch Leser, Hörer oder Zuschauer manipulierbar.

Eine Kampagne ohne Berücksichtigung der Nutzer

Gleichsam überrascht es nicht, dass die Anbieterseite derweil um potenziell schwindende Umsätze bangt. Am 13. Mai riefen Sueddeutsche.de, FAZ.net, Golem.de, RP Online, Spiegel Online und Zeit Online in einer breit angelegten Kampagne gegen die Nutzung von AdBlockern auf. Nahezu jedes Online-Medium setzt auf Werbung zur Refinanzierung des Aufwands, um (journalistische) Inhalte zu erstellen. Als erklärtes Ziel der Kampagne soll demzufolge das Bewusstsein der Nutzer geschärft werden, dass Werbung zur Refinanzierung von Inhalten eine Notwendigkeit ist. Doch blickt die Branche in dem Moment überhaupt nicht über den Tellerrand hinaus? Nein, anstatt nach anderen Formen der Refinanzierung zu suchen, folgt man der jahrelang erlernten Logik des Claims-Absteckens. Dabei gibt es doch so viel mehr, wie z.B. sinnvolle Paid-Content-Modelle. Doch diese auf internationalem Parkett erfolgreichen Digital-Abonnements sind in Deutschland äußerst rar gesät.

Werbung kann nicht nur eine notwendige Grundlage für kostenlose Inhalten sein, sondern muss sowohl die Interessen der Anbieter als auch die Interessen der Nutzer berücksichtigen. Bei der Kampagne zur positiven Besetzung der Werbelogik aus Sicht der Portalbetreiber sollte die richtige Zielsetzung vielmehr lauten, in welchem Maße die Werbung konsumiert und die Bedürfnisse der Nutzer in die wirtschaftlichen Zielsetzungen der Online-Angebote integriert werden sollte.

Was also fehlt ist ein Umdenken.

5 Thesen zur Weiterentwicklung von Online-Werbung

  1. Werbemittel dürfen die Nutzer nicht stören und die Inhalte nicht verbergen.
  2. Nutzer müssen von Werbung profitieren können, so dass Werbetreibende und Portalanbieter vermehrt Mehrwerte und Nutzen für die Konsumenten schaffen müssen.
  3. Portalbetreiber müssen Paid-Content-Modelle offerieren und diese Abonnements strikt werbefrei halten.
  4. Werbung sollte als Refinanzierung für kostenfrei erhältliche Inhalte nicht verdrängt werden, aber
  5. Werbeformate und Inhaltsangebote müssen speziell für kleine Bildschirme optimiert werden, ohne dabei ausschließlich auf Apps zu setzen.

Seit 1997 tummle ich mich im Internet und habe sehr viel Online-Werbung kommen und gehen sehen. Rund 15 Jahre, also etwas weniger als die Hälfte meines Lebens, nutze ich das Internet dafür, um mein Verlangen nach Information und Unterhaltung zu stillen. Ich glaube, dass alle am runden Tisch beteiligten Parteien die Werbelogik dringend gemäß der Wünsche der Nutzer ändern müssen, aber nicht vom Nutzer verlangen sollen, sich Fesseln anzulegen und alten Regeln zu unterwerfen. Gewiss wirken diese durchaus kurzen Thesen auf den einen nur als plakativer Weckruf, auf den anderen vielleicht aber als absolute Notwendigkeit. Sie entstanden unter der Prämisse, eigene Erfahrungen und generelle Forderungen aufzugreifen.

Ob der Online-Werbemarkt reagieren wird, sich selbst zu verändern oder doch das Prinzip „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ zu pflegen, werden wir in der nahen Zukunft erleben. Trotz allem muss sich Online-Werbung weiter entwickeln und den Nutzer umgarnen, zumal viele journalistisch qualitativen Online-Medien als Ableger mancher schwächelnder Printtitel noch stärker von den Auswirkungen der AdBlocker betroffen sein werden. Spätestens zur dmexco wird das Thema AdBlocker erneut einen Höhenflug erleben. haben. Ich freue mich schon jetzt auf die heißen Diskussionen in Köln.

tl;dr
Online-Werbung fügt sich nicht harmonisch in den Gesamtkontext der Inhalte ein, springt in ihrer Entwicklung nicht über ihren Schatten hinaus und bietet derzeit wenig innovative Lösungen, um den Ansprüchen der Nutzer gerecht zu werden.

4 Kommentare
  1. Lena sagte:

    Vielen Dank für einen tollen Artikel. Die Welt der Werbung hat sich echt rasant geändert. Die Online-Werbung wird von Zielkunden schon nicht mehr als hilfreich wahrgenommen, eher als aufdringlich und störend. Deshalb sollen sich Marketiers an neue Tendenzen anpassen und einen guten, interessanten und hilfreichen Content anbieten. Und nicht umgekehrt.

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  1. […] Werbung im Internet: Erste Wege aus einer knietiefen Krise Mike Schnoor fühlt hier dem Thema Online Werbung auf den Zahn: Wie hat sich Werbung im Internet entwickelt, warum passt die klassische Online Werbung nicht mehr so ganz in dieses Medium und welche Wege führen aus der Krise? […]

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