Digitale Evolution: Wie steht es um die Bildung und Mediennutzung in Deutschland?

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Unsere Gesellschaft scheint jedem Trend nachzulaufen und aus jedem Hype ein weiteres Geschäftsmodell zu entwickeln. Wie selbstverständlich hat das Internet unsere Medienlandschaft und Wahrnehmung nachhaltig verändert. Neben den digitalen Denkern hat die breite Bevölkerung verstanden, dass im Internet richtig viel los ist. Kommunikation, Information und Daten, Spiele und Beschäftigungstherapie – alles besitzt ab einer gewissen Dosierung ein nachweisliches Suchtpotenzial. Aber wo stehen wir Deutschen im digitalen Orchester? Sind wir die Zuschauer, spielen wir die Musik oder sind wir der Dirigent?

Für kleine Kinder bedeutet die Einschulung einen gewaltigen Schritt, mit dem ein neuer Lebensabschnitt beginnt, der über ihre Zukunft maßgeblich entscheiden wird. In einem Jahr wird unsere Tochter die erste Klasse in einer Grundschule besuchen. In weiteren vier Jahren werden wir Eltern mit Gewissheit wissen, ob unser Sprössling auf den gymnasialen Bildungsweg gehen darf oder ob die bis dato erbrachten Leistungen einen anderen Weg bedingen. Als Elternteil und Autor beschäftige ich mich immer wieder mit der Zukunft meiner Kinder, denn unsere Welt unterliegt einer schnellen Evolution in die digitale Welt, wie es noch vor Jahren undenkbar war.

Bei den Vorstellungsterminen der Grundschulen fragte ich kürzlich, wie die Schulleitung und das Kollegium dieser Situation der Digitalen Evolution Herr werden will. Welche konkreten Maßnahmen weisen die Schulen vor, damit Kinder richtig mit der digitalen Welt umgehen können? Wie vermitteln sie unserem Nachwuchs die richtige Medienkompetenz? Mit welchen Hilfsmitteln sollen die Kinder die gesteckten Ziele erreichen? Müssen die Kinder für den Unterricht in der Offenen Ganztagsschule täglich ihren Schulranzen mit schweren Büchern schleppen? Reicht nicht ein Tablet mit digitalen eBooks, um die Schreib- und Lernhefte zu ergänzen? Wie können Kinder durch digitale Endgeräte in ihrem Lernen gefördert werden?

Natürlich kommt der Gedanke nahe, dass ein Digitaler Denker sich eben jene Gedanken um digitale Grundlagen macht. Im Vorfeld forderte ich bereits, dass Schulen in Deutschland sich für eine informations- und wissensgetriebene Zukunft zentral mit Digitaler Wirtschaft, Kommunikation und Medienkompetenz beschäftigen müssen:

[grey_box]“Digitale Wirtschaft, Kommunikation und Medienkompetenz müssen in der nahen Zukunft als Pflichtfächer an deutschen Schulen eingeführt werden. Bildungspolitik entwickelt sich zu einem Schwerpunkt des gesellschaftlichen Handlungsfelder für Eltern, die ihre Kinder für die Zukunft sowohl kindgerecht als auch leistungsorientiert vorbereiten möchten. Wenn eine Bildungspolitik in Deutschland die digitale Agenda nicht versteht, büßen potenzielle Nachwuchskräfte und der Standort Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit ein.“[/grey_box]

Wie kompetent sind Deutschlands Erwachsene?

Wer unsere Kinder lehrt, sollte als erwachsener Mensch über die notwendige Kompetenz und das Fachwissen verfügen. Gehen wir davon aus, dass die Lehrer diese Mindestanforderung erfüllen, stellt sich immer wieder die Frage nach der Situation im Haushalt. Schließlich gehört zu einem gesunden Lernen auch die Unterstützung in der Lehre durch die Eltern. Jedes Kind wird mit Hausaufgaben beauftragt, die für viele Kinder trotz des in der Schule erlernten nicht sofort lösbar sind. Ihre Eltern helfen üblicherweise bei Fragen zu jedwedem Schulfach, aber dies setzt wiederum Bildung der Eltern voraus.

Wir alle kennen die teils desaströsen Ergebnisse der berühmten PISA-Studie. Kürzlich wurde der nationale PIAAC-Bericht veröffentlicht, in welchem die Kompetenzen von Erwachsenen in ähnlicher Weise analysiert wurden. Als zentrales Ergebnis bestätigt der PIAAC-Bericht, dass die Deutschen im internationalen Vergleich konkurrenzfähig sind. Jedoch liegen die befragten Erwachsenen im Alter von 16 bis 65 Jahren mit ihrer Lesekompetenz und unter dem internationalen Durchschnittswert, in puncto Mathematik leicht darüber und bei technologiebasierten Problemlösungen im Mittelfeld. Wer einen niedrigen Bildungsabschluss besitzt, fällt deutlich unter diese Werte und sind laut PIAAC-Bericht lediglich in der Lage, nur „elementare Lese- und Rechenaufgaben zu bewältigen“.

[red_box]Auf die digitalen Gewohnheiten projiziert, zeigt diese Studie, dass viele Menschen in Deutschland noch nicht einmal auf Webseiten navigieren können. Mit anderen Worten: Die haben keinen blassen Schimmer, was dort im Internet an Informationen, Daten und Kommunikation abläuft.[/red_box]

Hilfe für die Bildungsnation Deutschland

Das Internet ist für viele noch Neuland, was eine traurige Erkenntnis der Politik und gleichzeitiges Armutszeugnis unserer Gesellschaft ist, die sich in ihren Grundfesten als Bildungsnation versteht. In Kombination mit Mobile, Social und der klassischen Online-Nutzung ergibt sich daraus ein erschreckendes Bild. So verwundert es nicht, dass Fernsehen bei der Mediennutzung auch auf lange Zeit auf dem vorderen Platz liegt. Zumindest bei digitalen Denkern zählt der einstige Primary Screen seine letzten Tage. Substitutive Mediennutzung besitzt das Potenzial für die Zukunft. Zwar hebt die digitale Elite die Nutzung von Tablets und Smartphone vom Second Screen auf den ersten Platz als neuen Primary Screen. Jedoch scheint im Angesicht der Bevölkerung eine einfache Berieselung, gefilterte und vorselektierte Informationen aus dem Fernsehen für viele Erwachsene genau das Richtige zu sein. Wozu entwickeln die Gerätehersteller internetfähige TV-Geräte, wenn der „Smart-TV“ eigentlich nur als Abspielstation dient? Wer von crossmedialer Mediennutzung spricht, sollte vielleicht aus seinem Wunschtraum erweckt werden.

Zudem frage ich mich, weshalb so viele Bildungseinrichtungen in Deutschland immer noch (konsequent) auf klassische Schulbücher setzen, obwohl immer häufiger gute wissenschaftliche Lehrmaterialien teilweise frei im Sinne von CC-Lizenzen verfügbar sind. Auf der Cologne Commons Conference stand am 17. und 18. Oktober 2013 die Stärkung der Commons-Bewegung in Forschung und Lehre, Kunst und Kultur, sowie dem alltäglichen Leben im Vordergrund. Die Vorträge diskutierten potenzielle Vorteile von zunehmend frei zugänglichem Wissen, Forschungsergebnissen, Kulturgütern oder gemeinschaftlich genutzten (und gepflegten) natürlichen Ressourcen. Das vorgestellte Crowdfunding-Projekt „Schulbuch-O-Mat“ von Hans Wedenig und das Forschungsprojekt „segu (selbstegesteuert entwickelnder Geschichtsuntericht)“ von Christoph Pallaske setzen auf Open Educational Resources (OER). Die vorgestellten Phasen dieser Projekte zeigt, dass freie Lern- und Lehrmaterialien in der Praxis wünschenswert sind, jedoch an vielen Schulen noch den Charakter von Zukunftsmusik besitzen.

Rückblickend auf meine persönlichen Erfahrungen mit den von mir besuchten Schulen konnte keiner der Verantwortlichen auf meine beispielhaften Fragen nach der digitalen Lebenswelt und insbesondere OER-Materialien kaum eine Antwort liefern. Man lerne nach aktuellen Methoden, kombiniere viel Spielgestaltung und Bewegung in den Tagesablauf der Kinder. Die Schulen würden sich den digitalen Endgeräten und den damit verbundenen Möglichkeiten insgesamt wenig bis überhaupt nicht nähern. Mir stellt sich in dem Zusammenhang die Frage, warum die Stadt Köln ein offenes Bildungswiki seit Jahren führt, hingegen die Lehrer als potenzielle Profiteure dieses Netzwerks nicht erreicht werden. Vielleicht liegt dieses Desinteresse an Commons- und OER-Lehrmaterialien am mangelnden Interesse der Erwachsenen oder an der eigenen Kompetenz.

tl;dr
Als Elternteil wünsche ich mir für die Entwicklung meiner Kinder, dass die Bildung beginnend in der Grundschule sich mit digitalen Themen sinnvoll und zeitgemäß auseinander setzt. Freie Lern- und Lehrmaterialien bieten eine kostengünstige und mittlerweile wissenschaftlich einwandfreie Methode, um Wissen aktuell zu vermitteln. Die Armortisierungszeit für ein typisches Schulbuch beträgt acht Jahre. Schließlich veraltet nichts so schnell wie gedruckte Informationen.

13 Kommentare
  1. Damian Duchamps sagte:

    Nach meinen Erfahrungen liegen die Probleme mit den neuen digitalen Medien vor allem in der mangelnden Kompetenz der Erwachsenen begründet. Nach einer optimistischen Schätzung würde ich sagen, dass an einer normalen Schule maximal 20% der Lehrerinnen und Lehrer über eine ausreichende Kompetenz verfügen, digitale Medien sinnvoll in den Unterricht zu integrieren und zu vermitteln. Selbst jüngere Lehrerinnen und Lehrer verfügen oft nur über ein oberflächliches Wissen. Das hat im Studium dazu gereicht, Informationen zu finden, sich auf Portalen der Universität anzumelden und Klausurergebnisse nachzusehen und Semesterarbeiten und Referate zu verfassen. Die Kenntnisse in der Textverarbeitung beschränken sich bei vielen dabei auf minimalste Funktionen wie Fett, Unterstrichen, Linksbündig, Blocksatz und ähnlich. Wie man einen Tabulator nutzt oder eine Gliederung erstellt mit den Funktionen der Textverarbeitung, wissen die meisten nicht. Was sie beherrschen, haben sie durch Ausprobieren herausgefunden oder von Freunden gezeigt bekommen. Über eine systematisch vermittelte Grundkompetenz in Sachen digitaler Medien verfügen die meisten nicht. Eigentlich müsste sich die Lehrerausbildung dieses Thema auf die Fahnen schreiben. Doch das wird nur selten möglich sein, wenn das Referendariat auf ein Jahr verkürzt ist und die Seminarleitungen oft selbst nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen.
    So lavieren sich viele Erwachsene in unserem Land durch das digitale Leben. Man kann Online-Banking, einen Urlaub buchen, Wissen in der Wikipedia nachschlagen und bei Amazon einkaufen. Ein Wiki nutzen, ein Blog betreiben, kollaborativ einen Text mit Google Docs erstellen? Fehlanzeige. Auch in der Nutzung von Smartphones sind viele Erwachsene kaum in der Lage das Potential der tragbaren Mini-Computer auszunutzen. Mit Mühe schafft man es noch WhatsApp zu kaufen und zu installieren. Ich habe im Kollegium meiner Schule junge Lehrer erlebt, die ihr Android Smartphone so nutzten, wie sie es aus der Verpackung holten, ohne Anmeldung bei Google, ohne zusätzliche Apps zu installieren. Telefonieren, SMS, Fotos machen und das war es. Wie man diese Fotos verschicken kann, lernen manche noch so gerade eben. Mehr von diesem technischen Zeug ist ihnen zu viel. Da haben sie nicht die Geduld oder die Zeit. Wie sollen solche Menschen im Unterricht Tablets einsetzen oder gar mit dem BYOD Prinzip arbeiten?
    Unsere Kinder scheinen auf den ersten Blick sehr kompetent im Umgang mit Smartphones und Computern. Sie tippen flink und finden sich auf Webseiten schnell zurecht. Nur wenige schaffen es mit Interesse tiefer in die Materie einzusteigen. Die Mehrheit bewegt sich an der dünnen Oberfläche der Medienkompetenz. Das ist vielleicht vergleichbar dem Autofahren. Sie können das Auto bewegen, haben aber nie die Fahrschule besucht und die Regeln gelernt. So fallen viele Lehrpersonen auf den scheinbar kompetenten Umgang ihrer Schülerinnen und Schüler hinein und denken, die können alles. Pustekuchen! Nichts können diese Kinder wirklich richtig. Und so werden sie erwachsen, haben zwar keine Hemmungen vor dem Umgang mit den digitalen Medien, können sie aber auch nicht wirklich richtig nutzen.
    So ist es bestellt bei uns. Wen es dann noch wundert, dass es kaum jemanden gibt, weder in der Schule, noch im Elternhaus, der unserem Nachwuchs einen kompetenten Umgang mit den digitalen Medien beibringen kann, der hat keine Ahnung, wie es wirklich aussieht bei uns.

  2. germanisticker sagte:

    Digitale Bildung ist prinzipiell wünschenswert und ein Ideal, an dem man immer kratzen muss, wenn es dann tatsächlich umgesetzt werden soll. Gerade die Deutschen sind furchtbar standardverliebt und bislang gibt es – gerade auf dem deutschen Markt – keine offenen Standards (beispielsweise für eBooks), welche marktunabhängiges Lernen garantieren könnten. Dass man da skeptisch gegenüber den ohnehin gerne verteufelten „neuen Medien“ wird, ist nachvollziehbar, wenn auch nicht immer berechtigt.
    Ich halte in erster Linie die Bildung bzw. Aufklärung der Erwachsenen für den Weg zum Ziel. Sie müssen schließlich an diesen Standards arbeiten, sie müssen sich mit der zu vermittelnden Technologie auseinandersetzen und sie müssen evaluieren können, ob der technische Standard gegenüber alten Modellen tatsächlich in allen Fällen Vorteile mit sich bringt oder nicht. Im Falle der eBooks sehe ich den Tag noch in weiter Ferne, bei Lernmodellen wie MOOCs oder auch nur „alltäglichen“ Dingen wie Kollaboration oder Kommunikation über’s Internet haben wir den Punkt, an dem die Schulen reagieren müssten, eigentlich schon lange passiert.

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