Medienführerschein Bayern: Fünf Jahre Schüler- und Verbrauchererziehung ohne eine echte Verpflichtung

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Medienkompetenz gilt bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als unterschätztes Bindeglied unserer Gesellschaft. Zwischen der aktiven Nutzung digitaler Angebote und einem tieferem Verständnis der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse müssen Brücken geschlagen werden. Mit dem „Medienführerschein Bayern“ bemüht sich der Freistaat seit dem Jahr 2009, verschiedene medienpädagogische Fragestellungen altersgerecht für Schüler und Schülerinnen aufzugreifen. Fünf Jahre seit der Einführung hat sich die Initiative offenbar bewiesen und erneuert dazu zum neuen Schuljahr die Unterrichtsmaterialien für die 8. und 9. Jahrgangsstufe. Nur reicht dieses nichtverpflichtende Lernangebot für junge Menschen als Übergang in die Digitalwirtschaft Deutschlands?

Gewiss stellen digitale Medien gerade Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag vor viele Herausforderungen. Sind kostenlose Apps wirklich kostenlos für den Nutzer, oder lauern Kostenfallen und versteckte Abonnements hinter den mobilen Anwendungen? Dürfen Nutzer Fotos und Videos von anderen in soziale Netzwerke laden? Was passiert mit den Datenspuren, die man im Internet hinterlässt?

Die Unterrichtseinheiten des Medienführerscheins Bayern sollen mit einer Neuauflage für die 8. und 9. Jahrgangsstufe verschiedene medienpädagogische Fragestellungen altersgerecht aufgreifen. Schließlich entfaltet sich die digitale Angebotsvielfalt auf nahezu alle Lebensbereiche und alle Altersgruppen mit einer ganz eigenen Wirkung. Die Informationsflut durch tagesaktuelle Medien wirkt dabei insbesondere für unerfahrene Nutzer unübersichtlich. Die vielbeschworene Kluft zwischen „Digital Immigrants“, den Erwachsenen ohne den vertrauten Zugang zu neuen Medien, und „Digital Natives“, die im Kindes- und Jugendalter ihren Alltag wie selbstverständlich mit Medien und digitaler Kommunikation gestalten, erscheint heutzutage umso größer.

Dr. Klaus-Peter Potthast, Georg Eisenreich und Siegfried Schneider (v.l.n.r.), Quelle: Helmut Seisenberger / Stiftung Medienpädagogik Bayern

Dr. Klaus-Peter Potthast, Georg Eisenreich und Siegfried Schneider (v.l.n.r.), Quelle: Helmut Seisenberger / Stiftung Medienpädagogik Bayern

„Digitale Medien gehören heute zum Alltag junger Menschen. Deshalb ist es wichtig, dass wir ihnen neben den großen Chancen auch die Risiken der digitalen Welt aufzeigen. Ich freue mich, dass wir unsere Lehrkräfte mit den neuen Materialien des Medienführerscheins Bayern dabei unterstützen können, ihren Schülerinnen und Schülern einen verantwortungsvollen und kompetenten Umgang näherzubringen“, erklärt Bayerns Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich.

Für den „Medienführerschein Bayern“ dürfen sich junge Menschen in doppelstündigen Unterrichtseinheiten mit Werbebotschaften, Nachrichtenwegen und Konsumverhalten im Netz, Computerspielen und Suchtpotenzialen, Meinungsbildungsprozessen, Grenzen und Risiken der digitalen Kommunikation sowie rechtlichen Grundlagen auseinander setzen. „Die vier neuen Unterrichtseinheiten fördern besonders das Verantwortungsbewusstsein beim Medienumgang. Denn bei den älteren Schülerinnen und Schülern geht es uns vor allem darum, dass sie Verantwortung für sich und andere übernehmen – offline und online“, betont Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien.

Harald R. Fortmann, BVDW-Vizepräsident, Quelle: Raimar von Wienskowski / BVDW

Harald R. Fortmann, BVDW-Vizepräsident, Quelle: Raimar von Wienskowski / BVDW

Digitale Wirtschaft und die Nachwuchskräfte
Die Arbeitgeber der Digitalen Wirtschaft und der Medienbranche gelten gerade bei jungen Menschen als attraktiv. Aber mangelnde Verantwortung im Umgang mit den digitalen Angeboten und überhaupt fehlende Kenntnisse der Medien- und Digitalbranche beklagen verschiedene Digitalverbände und Unternehmen der Wirtschaft gerade bei jungen Nachwuchskräften. Bereits im vergangenen Jahr äußerte sich Harald R. Fortmann, Vizepräsident des BVDW, im Rahmen einer Studie zu den deutlichen Unterschieden zwischen Realität und Erwartungshaltung junger Menschen an digitale Arbeitgeber. Die Digitale Wirtschaft müsse „gemeinsam mit Hochschulen und Weiterbildungsträgern die zukünftigen Nachwuchskräfte auf ihren Berufseinstieg intensiver vorbereiten. Demnach muss die Branche die Institute bei der Aktualisierung Ihrer Lehrpläne stärker unterstützen.“

Über den Sinn der bayerischen Initiative darf man vorerst positiv urteilen, jedoch stellt sich insgeheim die berechtigte Frage, ob die Schule für alles zuständig sein müsse. Trotz der Einführung im Jahr 2009 durch die Bayerische Staatsregierung und die Förderung durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie bleibt die Teilnahme an dieser Medien- und Verbrauchererziehung nämlich absolut freiwillig.

Bayerns Vorstoß bleibt freiwillig und ohne Verpflichtung
An den Schulen in Bayern gibt es für die Lehrkräfte bislang keine direkte Verpflichtung, mediale und digitale Themen aufzugreifen. Vielmehr können sie eigenständig entscheiden, ob die in Kooperation mit dem Kultusministerium angebotenen Unterrichtseinheiten im Lehrplan berücksichtigt werden – oder eben nicht. Zwar unternehmen sowohl Schulen als auch außerschulische Einrichtungen zahlreiche Anstrengungen, medienpädagogische Bildungsarbeit voranzutreiben, und beschäftigen sich dabei mit dem digitalen Umfeld. Das Angebot zum „Medienführerschein Bayern“ bleibt also mehr eine kostenfreie Kür und kann sogar von jedem schulfernen Nutzer auf der Website der Initiative bezogen werden. Hinzu kommt ein inhaltlicher Bruch, denn viele weiterführende Schulen möchten nicht auf in der Grundschule erworbenen Wissen aufbauen, sondern die Grundlagen für Medienpädagogik und die Digitalwirtschaft selbst liefern.

Egal, ob mit oder ohne die neuen Unterrichtsmaterialien, der „Medienführerschein Bayern“ kann helfen, das an traditionelle Wertevorstellungen gebundene Bildungssystem in Deutschland zu verbessern. Spätestens mit dem Abgang der Schüler in eine Ausbildung oder in das Studium müssen jedoch ganz andere Herausforderungen gelöst werden, denn selbst heute haben private Weiterbildungsträger, die Ausbildungsinstitutionen und Hochschulen noch nicht den Willen zum Aufbruch in eine digitale Wirtschafts- und Wissenswelt gezeigt. Für die Zukunft Deutschlands als europäischer Standort für die Digitale Wirtschaft könnte neben rein wirtschaftlichen Faktoren die Frage nach der richtigen Medienpädagogik und die zentrale Ausbildungsfrage eine zentrale Schlüsselfunktion einnehmen.