Frischzellenkur für die Digitalbranche: Agenturen und Consultants auf Tuchfühlung

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Im vergangenen Jahr hat das Traditionsunternehmen IBM mit den Übernahmen von Aperto und Ecx.io gleich zwei digitale Akteure aufgekauft. Zuvor schnappte sich das Beratungshaus Deloitte die Agentur Flow Interactive, während McKinsey sich Lunar holte. Die jüngste Übernahme von Sinner Schrader durch das Consulting-Unternehmen Accenture markiert einen neuen Höhepunkt einer Entwicklung der Agenturen, die für gehöriges Aufsehen in der digitalen Wirtschaft sorgt.

Agenturen und Consultants prallen öfter aufeinander. Nicht, weil sie unterschiedliche Standpunkte in der Branche vertreten, sondern weil sie sich gegenseitig das Wasser abgraben. Sobald der Kunde im Visier ist, bemühen sich beide Fraktionen um den Lead. So kommt es spätestens im Pitch um den Marketingetat zu kleinen Scharmützeln, die über kurz oder lang in den Medien ausgetragen werden.

Agenturen und/oder Unternehmensberater?

Agenturvertreter bemängeln das Eindringen der Berater in ihr Marktsegment. Ein nachvollziehbarer Schritt, denn wer gibt schon gerne seine Claims ab? Die Strategen könnten nur mit Zahlen jonglieren, die Kreativität als Alleinstellungsmerkmal der Agenturen bleibe jedoch auf der Strecke. Die Leistung am Kunden liegt ihnen im Blut, zumal sie seit Anbeginn der Zeit auf digitalen Pfaden wandeln würden. Die Berater müssten die digitalen Aspekte erst erlernen. Zugegeben, das machen sie auch richtig clever, wenn die Unternehmensberater im Umfeld der Agenturen auf An- und Abwerbekurs gehen. In vielen Fällen sogar erfolgreich, denn die Mitarbeiter der Agenturen würden mit besseren Konditionen und Perspektiven gelockt, als dass es die Agenturen sich leisten könnten.

Hingegen hört man von den Beratern selbst wenig zu den Vorwürfen. Kein Hauch kritischer Töne. Den Fehdehandschuh lassen sie offenbar liegen und machen ihr Ding: Marktdaten analysieren, Geschäftspotenziale identifizieren, Prozesse verändern, sich die Digitalisierung auf die Stirn schreiben und mit etwas kreativen Momentaufnahmen, die manchmal von extern eingekauft werden, beim Kunden vorstellig werden. Sie pitchen ihre Ideen und Lösungswege einfach anders als die Agenturen, was die Markenunternehmen durchaus erfreut.

Macht das Beispiel von Accenture und Sinner Schrader Schule?

Kurzum: In jedem Gewässer gibt es Fische, die kleinere Fische schlucken. Nun gelten Accenture und Sinner Schrader nicht als klein, doch das Zusammenwachsen zu einer Entität macht eines deutlich. Perspektivisch werden die Grenzen von Beratung und Agenturleistung weiter verschwimmen. Der Kunde wird sich nicht mehr zwischen drei oder vier Agenturen im Pitch entscheiden müssen, sondern künftig die Akteure bevorzugen, die sowohl Spezialisten als auch Alleskönner sind. In der Digitalbranche entsteht somit ein hybrides Modell, welches auch hier den Verdrängungswettbewerb zwischen Agenturen und Consultants verschärfen wird. Markenunternehmen werden sich künftig für die Partner entscheiden, die sie und ihre Probleme am besten verstehen.

Was früher die Agenturen mit viel Kreativität, technischem Verständnis und digitalem Wissen geleistet haben, werden Consultants mit extremer Datenaffinität und den strategischen Zukäufen der Digitalagenturen auf ebenbürtigem Niveau realisieren. Agenturen könnten sich gleichermaßen zum Kauf anpreisen. Roland Berger, Hovárth, KPS oder Kienbaum waren bislang noch relativ schweigsam, aber es wird nicht lange dauern, bis sie dem Beispiel von Accenture und Sinner Schrader folgen werden. Denn die Kunden freut es, digitale Expertise aus einer Hand zu erhalten. Wenn Agenturen und Consultants eng miteinander zusammenarbeiten, kann diese Entwicklung für die digitale Wirtschaft tatsächlich wie eine Frischzellenkur wirken. Ob dies tatsächlich hilfreich ist, wird sich zeigen müssen.