Social Media Release vs. Pressemitteilung: Kommuniziert ihr im Traumland oder in der Realität?
Manchmal würde ich auch gerne anders agieren, als mit Pressemitteilungen um mich zu schleudern. Seit Jahren dümpelt der Gedanke vor sich hin, eine echte Social Media Release zu zaubern. Mit allem Pipapo, dem ganzen Rambazamba! Damit sich der Journalist in der Rolle des Empfängers gleich hypermodern vorkommt, nahezu vom Stuhl gefegt wird, und die genialsten Berichte darüber in Medien und Blogs nur so aufpoppen. Doch sollte man dies wirklich in der PR machen? Pressearbeit unter einem anderen Stern und in einem anderen Licht – über eine Social Media Release? Die gelebte Praxis erteilt der Social Media Release eine klare Absage und zelebriert die gelernte Kunst der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit über klassische PR-Maßnahmen. Lasst die Pressemitteilung hochleben!
Für feinsinnige Freigeister besitzt die Idee einer Social Media Release einen gewissen Charme, einfach anders zu sein als jeder PR-Fuzzi. Mal von der Masse abheben, etwas anderes vorstellen, ganz trendbewusst auf der Linie von Social Media zu agieren. Leider bleibt eine Social Media Release nur das Wunschdenken von narzistisch verliebten Kommunikatoren. Also alles großer Pustekuchen? Ja, denn meiner Meinung nach kann man Social Media betreiben, um die Infrastruktur zur Kommunikation, zum Dialog oder zum bloßen Verballern von Informationen einzusetzen. Egal wie, es funktioniert in der Regel gut für den Sender. Hauptsache der Adressat rezipiert und versteht die Botschaft. Wie sonst könnte die PR neben der rein informativen Tatsachenkommunikation noch eine ausdrückliche Deutung oder individuelle Note einem Text geben? Durch schönes Schreiben und zahlreiche bedarfsgerechte Informationshäppchen? Nein, eine Social Media Release geht an der gelebten Praxis vorbei und wird auch in absehbarer Zukunft niemanden hinter dem Ofen hervorholen. Für die Kommunikation bleibt die Botschaft im Vordergrund. Möglichst verständlich und strukturiert. Vielleicht als Vorlage, um aus einem faktenbasierten Text das redaktionelle Werk zu entwickeln. Nicht als Ansammlung von eines Wünsch-Dir-Was mit hochtrabenden Informationsbruchstücken in Form von Text, Bild, Audio, Video, Hintergrundinfos, Superduper-PPTs und weiß der Geier sonst noch.
Die Pressemitteilung als ganz typisches Vorgehen, nämlich in Kurzform auf den Punkt zu kommen, dann noch einer Person das selbst referentielle Zitat im Zusammenhang der gesamten Pressemeldung zuzuschustern, hier und dort noch weiter in die Details zu gehen und dann zum Abschluss zu kommen – dieses Vorgehen ist und bleibt in der Kommunikation die definitive Normalität. Täglich trudeln unzählige Presseinformationen in meinem Postfach ein. Mal gut, mal schlecht, aber es sind nahezu immer und ausschließlich Pressemitteilungen auf ganz klassische Machart. Keiner wagt es, selbst mir als Blogger, der sich auch in epic relations wiederfindet, eine Social Media Release aufzubereiten. Wozu auch? Den zusammengestrickten Müll will doch keiner mehr sehen, wir wollen Pressemitteilungen! Ich erhalte nur Pressemitteilungen. Niemand macht auf Social Media. Selbst die hippen Startups aus Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf und München verbreiten nur das, was man seit Jahren kennt: Pressemitteilungen!
Nein, trotz aller potenziellen Möglichkeiten behaupte ich: Die viel gelobte Social Media Release funktioniert nicht, weil dieser hohe Aufwand letztendlich nur für einige wenige Journalisten von Interesse sein wird. Zudem muss der Rezipient der Botschaft überhaupt diese Restrukturierung der altbewährten Kommunikationsrituale verstehen. Und mit allem Respekt: Das kommt in den seltensten Fällen vor. Die Überfrachtung mit so vielen Zusatzinformationen und Hintergrundwissen bereitet eher Kopfschmerzen, erzeugt dabei schnell Desinteresse und kappt den roten Faden der Presseinformation durch das Überangebot an Informationen. Die Kernbotschaft geht eigene Wege und geht flöten.
Social Media Release – der kommunikative Traumbegriff der letzten Jahre, wirkt mittlerweile so ausgelutscht wie die selbsternannten Social Media Experten, die damit in Unternehmen punkten wollten. Nebenbei – ich behaupte nicht, einer von denen zu sein. Ich schreibe nur über Social Media und Kommunikation, spreche gelegentlich darüber, und amüsiere mich meist lieber über einige der einzelnen Berater, die immer noch versuchen, den Leuten mit Twitter und Facebook das große Geld zu versprechen (und aus der Tasche zu ziehen – jetzt neu: Google+ und Pinterest).
Kommunikation braucht keine Extras und Sonderaktionen wie eine Social Media Release. Die gute alte Pressemitteilung wird auch in den nächsten Jahren in Redaktionen bevorzugt werden. Meine Meinung, mein Standpunkt – oder seht ihr das anders? Dann liebe Leser, nutzt die Kommentare und diskutiert, erklärt warum die Social Media Release doch so prächtig ist, wie das Buzzword sich im Grunde genommen anhört. Danke! :)
Toller Artikel! Ich stimme zu – die traditionelle Pressemitteilung ist nicht „tot.“
Nur eins würde ich hinzufügen – man muss immer die Bedürfnisse der Journalisten in Hinsicht haben. Manche (auch wenn nur wenige) bevorzugen vielleicht die Social Media Release; man muss immer wissen, was die Journalisten genau brauchen und mögen. Zum Beispiel, wie diese Forschung hier zeigt: http://iliyanastareva.com/how-journalists-around-the-world-use-social-media/, sind Journalisten in den USA oder Canada viel offener für die Nutzung von Social Media bei der Arbeit als Journalisten in Deutschland. Also, man muss auch immer solche kulturelle Unterschiede beachten.
Guter Punkt. Wobei ich nicht weiß, ob Blogger oder Journalisten sich nicht mal über eine gut gemachte Social Media Release freuen würden … aber wir haben doch in der PR-Praxis (und damit meine ich Organisationskommunikation, egal ob Verbände oder Unternehmen) keine Zeit und keine Ressourcen, das regelmäßig zu machen. Neben der Medieninformation den einen oder anderen Film, dazu die „üblichen“ Kanäle befüllen UND selbstverständlich dort zu kommunizieren – das ist schon genug. Für mehr ist in der Praxis keine Luft.
@Iliyana – Die interkulturelle Kommunikation funktioniert selbstverständlich nicht ohne genau diese Brücken zu schlagen und die Bedürfnisse der jeweiligen Kommunikationsräume zu berücksichtigen. Ich kleiner Schelm wagte es wirklich, mich nur auf Deutschland in meiner Sichtweise zu beschränken. Daher: #fullack ;)
@Andreas – Das Telefon, die E-Mail, die Pressemitteilung, das alles wirkt zusammen als prächtiges Gesamtbild. Social Media wird zusätzlich bestückt. Wie ich auch oben schrieb, erhalte ich nur klassische PMs. Keiner wagt es, eine SoMe Release aufzubereiten. Vielleicht einfach auch deswegen, weil der Aufwand zu hoch ist. Als Blogger würde ich mich darüber sogar auch freuen, wenn inhaltlicher Tenor und Gesamtbild stimmig sind.
Nachtrag: Wie sieht es eigentlich bei der Produkt-PR aus? Ich kann es – mangels eigener Erfahrung, auf Sender- wie Empfängerseite – nicht beurteilen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass hier SoMe-Releases a) sinnvoller sind und b) auch durch längeren Vorlauf sinnvoll vorbereitet werden können.
Wäre das – oder ist das! – vielleicht eine Spielwiese dafür?
Ganz so schwarz-weiß sehe ich das nicht. Klar bin ich ein Fan der klassischen „normalen“ Pressemitteilung. Die erfüllt ihren Zweck weiterhin prächtig. Als Initial-Information, als erste Orientierung.
Trotzdem macht es natürlich keinen Sinn, Dinge wie Bilder, Videos oder Superduper-PPTs zu verteufeln. Auch die haben ihre Daseinsberechtigung. Eine PM muss einfach im Web verfügbar sein. Eine einfache Mail reicht nicht. Um gefunden zu werden, um verlinkt zu werden, um geshared zu werden. Und dafür muss das Ding auch lecker verpackt sein.
Also: Push bitte abgespeckt und aufs nötigste reduziert, Pull angreichert mit weiterführenden Multimediaelementen und hübschen Social-Media-Funktionsbuttons …
Disclaimer: Ich arbeite bei http://www.newsaktuell.de …
@Andreas – Produkt-PR kann prinzipiell funktionieren. Wenn wir mal – gefühlt behauptet – die ganz großen Super-Brand-Unternehmen rausnehmen, setzt aber doch kaum jemand auf Social Media Releases, um den Produkt-Launch im Sinne der PR anzufeuern.
NACHTRAG:
@Jens – Verteufeln tue ich es keinesfalls, ohne Bilder oder PPTs (als PDFs) und manchmal dem Bewegtbild-Format funktioniert die Kommunikation nicht. Jedoch dieses gesamte Paket extra für den Zweck, um der Social Media Release gerecht zu werden, kommt mir nicht in den Sinn. Zu hoch ist der Aufwand in monetärer, zeitlicher und personeller Natur, dieses Extra zu leisten.
Beispiel: Für fast jede PM steuere ich Bilder bei (Zitatgeber), teilweise auch eine/mehrere Grafik/en, im Bedarfsfall je nach Thema sogar eine Zusatzpräsentation oder einen Chartband oder eine Publikation als PDF anbei. Dennoch besitzt der Text nicht die Wunschfunktion im Sinne des „Informationsbaukasten“-Prinzips, sondern zieht den roten Faden (hoffe ich) in der Regel durch.
Aber genau eines ist mir noch nie so wirklich unter gekommen: „Und dafür muss das Ding auch lecker verpackt sein.“ – genau das ist das Problem: Jegliche Kommunikation, die man mir als potenziellen Empfänger zuspielt, entspricht dem Standard. Keinesfalls wird irgendwas auch nur lecker verpackt.
In Fortsetzung unseres IRL-Gesprächs gestern: Ich habe auch den Eindruck, dass der Hype uns SoMe Releases deutlich nachgelassen hat. Auf der anderen Seite sehe ich aber auf Seiten von Unternehmen eine steigende Nachfrage nach multimedialer Aufbereitung von Information. Interessant ist, dass Redakteure als Zielgruppe da zunehmend weniger wichtig werden und es eher darum geht, corporate publishing Instrumente für sich zu nutzen und an redaktionellen Filtern vorbei „direkt“ zu kommunizieren. Und da ist es für die Anbieten von Informationen wichtig, multimedial zu denken und im Blick zu behalten, wie sie ihre Inhalte sinnvoll in jedem Aggregatszustand vorhalten können. Ich bin auch kein Freund davon, Nägel mit der Zange in die Wand zu hauen. Es braucht für jede Maßnahme das passende Werkzeug.
Ich arbeite bei news aktuell im Bereich Contentproduktion/Multimedia
Ich habe vor Monaten verblüfft festgestellt, dass der Erfinder der Social Media Release und des Social Media Newsrooms auf der Seite seiner eigenen Agentur keinen Social Media Newsroom verwendet. Auf meine per Email gestellte Frage, wieso das so sein, kam keine Antwort. – Dennoch denke ich, dass Social Media Releases bzw. Newsrooms ein Bedürfnis nach einem Informations-Plus bei Journalisten und anderen Stakeholdern befriedigen können. Allerdings müssen die entsprechenden Medien auch produziert werden.