Brockhaus-Verlag im 21. Jahrhundert

Das Papier stirbt aus. Die Bücher werden verbannt. Wir konsumieren E-Mails, lesen eBooks und gestalten unser Leben durch digitalisierte Information. Wer nach einem Begriff oder einer Definition sucht, findet detaillierte Wissensansammlungen in den Archiven der Wikipedia oder in vielen anderen kostenlos zugänglichen Quellen im Internet. Wir alle sind es gewöhnt unsere Kommunikation auf verschiedenen Kanälen gleichzeitig zu führen und die Informationen mit gebündeltem Feedback auszutauschen, so dass selbst Shannon & Weaver einen Orgasmus vor kommunikativer Lust bekommen würden. Wer dem nicht Folge leistet, kommt an seine Grenzen.

Der Brockhaus-Verlag ist eines der traditionsreichen deutschen Unternehmen, die den Wandel der Medienwelt am eigenen Leib spüren. Was mir noch aus den Kindertagen als Schrankwand füllende Sammlung von Büchern in Erinnerung ist und für viele Referate im einstigen Deutsch-Unterricht als die ultimative Primärquelle galt, verstaubt einfach vor sich hin. Das 21. Jahrhundert und damit die 21. Auflage des Brockhaus ist der Zenit, der finale Höhepunkt der gedruckten Informationskatalyse laut Brockhaus-Verlag:

„Die Marktanalysen zeigen eindeutig, dass die Kunden künftig Sachinformationen in erster Linie online nachschlagen werden“, berichtete der Sprecher. „Die 21. Auflage der „Brockhaus Enzyklopädie“ war voraussichtlich die letzte – ab jetzt findet alles online statt.“

Wer versucht gegen kostenfreie Organisationen, die den Markt bereits eigenmächtig gebildet haben und ihn in Perfektion dominieren, mit einem Neustart anzukommen, wird höchstwahrscheinlich die Zähne ins Holz schlagen und resignieren müssen. Auch wenn der Brockhaus eine reine Online-Redaktion für ein bald durch Werbung refinanziertes Informationsportal mit relevanten und geprüften Informationen aus allen erdenklichen Wissensgebieten auf die Beine gestellt hat, befürchte ich eine wahre Bauchlandung. Die Erkenntnis kam dafür zu spät, dass sich unser aller Drang zur Informationsbeschaffung von dem gedruckten Wort auf die schnellebige, durchweg zeitlich immer präsente und dabei ortsunabhängig abrufbare Informationsquelle des Internets gewandelt hat. Selbst wenn der digitale Brockhaus qualitativ auf redaktioneller Ebene geführt wird, muss diese Umpositionierung für das Klientel, die bereits seit Jahren treue Brockhauskäufer sind, auch in den Köpfen manifestiert werden. Und wer den Brockhaus gekauft hat, wird sich nicht immer eine neue Edition zugelegt haben, sondern hortet den Brockhaus für Jahrzehnte lang im Bücherregal, bis vielleicht die Themenlage von Ost- und Westdeutschland an Relevanz verloren hat.

Meiner Meinung nach ist das Online-Projekt des digitalisierten Brockhaus auch als durch Werbung refinanziertes Portal kein Baum, der pralle Früchte tragen wird. Zu hoch ist die Dominanz der Wikipedia und allen anderen Online-Lexika, die schon längst erkannt haben, dass man nicht mehr nur auf Papier bestehen kann. Irgendwie erinnert mich das an die alte Diskussion in der Verlagsbranche, wo man von dem veränderten Leserverhalten und ihrem Medienkonsum nichts wissen wollte, bis die Anzeigenmärkte vollkommen unter den Füßen zusammenbrachen. Ironie des Schicksals – auch eine Enzyklopädie kann sterben.

Die Blogosphäre verhält sich eigenartig, hämisch und reserviert… so ganz kann es wohl niemand verstehen wollen, dass die Notbremse in dieser Form gezogen wurde.

4 Kommentare
  1. Till sagte:

    Robert hat mittlerweile auf eine Pressemitteilung hingewiesen, in der eine Fortsetzung des Print-Brockhaus angekündigt wird. So ganz traue ich diesem Bekenntnis aber noch nicht.
    Übrigens kann ich als bescheidener Trabant der Blogosphäre diese Notbremse durchaus verstehen und hoffe jetzt nur für den Verlag, dass sie fest und konsequent genug gezogen wird. Die Qualität der Brockhaus-Beiträge sind m.E. unbestritten. Der Prüfstein wird die Aktualität sein, da werden ganz neue Anforderungen auf die Redaktion zukommen. Aber Hut ab vor dem – wenn auch späten – Mut zu tiefen Schnitten!

  2. tim sagte:

    wie mein vorredner: ich traue dem Ganzen noch nicht wirklich. Wahrscheinlich entpuppt sich das nur als PR-Gag und es wird noch viele Jahre weiter gedruckt.

  3. Alexandra Kropf sagte:

    Ganz ehrlich: Wer sucht heute noch etwas in einem Buch-Lexikon? Und nur zwecks der Optik für’s Bücherregal lohnt der Aufwand offensichtlich nicht mehr.

    Ich hoffe sehr, dass uns Bücher irgendwann nicht ganz abhanden kommen. Aber etwas nachzuschlagen geht einfacher und besser im Web. Wikipedia ist hier oft meine erste Anlaufstelle, aber definitiv nicht die einzige, gerade bei Themen wo es auf die Verlässlichkeit ankommt und eine Beeinflussung denkbar ist. Über diese Schwächen von Wikipedia wurde schon viel diskutiert und sie sind die große Chance anderer Angebote. Dass die klassischen Angebote da erst jetzt draufkommen, mag für sie trotzdem zu spät sein.

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