Retailer im Digitalen Zeitalter: Braucht der Einzelhändler wirklich den Wandel?

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Der stationäre Handel hat den Kampf gegen den E-Commerce noch nicht verloren. Aber einfach wird es nicht und „Weiter wie bisher“ ist definitiv keine Option.

Der digitale Habitus wächst und gedeiht. Die Menschen verbringen ihre kostbare Zeit mit der digitalen Kommunikation, egal an welchem Ort, zu welcher Zeit und zu welchem Zweck. Verbraucher können sich auf immer mehr Kanälen informieren. Neben Social Media und der Vielzahl an Inhalten findet sich nach wie vor ein wachstumsstarkes Nutzungsszenario im Digital Commerce. Was aber können Einzelhändler gegen die Kauf- und Konsumlust der Deutschen im Internet unternehmen? Die Lösung ist eigentlich ganz einfach: Sie müssen die digitale Kluft überwinden und zu Experten aufsteigen, die ihre Kunden begeistern. Die damit einhergehende Rückbesinnung auf alte Werte wird kein Zuckerschlecken werden.

Der Kunde hat und braucht einen Grund

Der Kunde muss als Konsument im Mittelpunkt stehen. Nicht ohne Grund heißt das ehrwürdige Mantra: Der Kunde ist König – und die Kundin ist Königin. Im Internet wird den Kunden alles geboten, was ihr Herz erwünscht. Was haben sich die Deutschen nicht schon in den Wochen rund um Weihnachten dem digitalen Kaufrausch hingegeben. Der Preisvergleich im Ladengeschäft und das Showrooming-Prinzip wurden zur Mode. Unsere Bequemlichkeit begründete den digitalen Kaufimpuls, was leider zum Nachsehen der Retailer führte. Im vergangenen Weihnachtsgeschäft konnten Onlinehändler sich an Wachstumszahlen von rund 15 Prozent erfreuen. Die Einzelhändler blicken neidisch auf diese Werte. Zugleich scheint die Freude am Konsum ungebrochen, denn moderne Kunden haben in der digitalen Welt verstanden, dass sie weitaus mündiger als der stereotypische Otto-Normal-Verbraucher sind. Sie wünschen sich einen echten Anlass, bei den Händlern zu kaufen und gleichzeitig die Gewissheit zu haben, die richtige Kaufentscheidung zu tätigen. Die modernen Kunden bilden dabei nicht nur eine potente Zielgruppe, sondern zeichnen sich durch eine Vielzahl an individuellen Personas ab, die Verbrauchern unterschiedlichster Bevölkerungsschichten entsprechen. Ihre persönlichen Erfahrungen und Präferenzen gebildet aus ihrem sozialen Hintergrund mögen sich zwar deutlich unterscheiden, jedoch kommt es auf die tatsächlichen Kaufmotive der Kunden an: Sie möchten sparen, Vorteile erhalten und emotional begeistert werden.

Der Einzelhandel hat auf dieser Ebene in den letzten Jahren massives Herz- und Kreislaufversagen erleben müssen. Kunden haben eine Immunität gegen simple Verkaufsargumente entwickelt. Schließlich bedeutet der Verkauf nicht nur ein simples Verlassen auf funktionierende Technik oder passende Produkte, sondern bedarf Einfühlungsvermögen, welches eben jene Emotionen und Begeisterung erwecken muss. Der souveräne Kunde sollte zu Taten bewegt werden, die in der Kaufentscheidung münden. Der Sale ist der Abschluss, nicht die reine Beratung der Kunden. Aber ein Kunde mutiert nur dann zum Fan, wenn die Bindung zwischen Verkäufer und Kunde ein langfristiges, nachhaltiges und persönliches Erlebnis entwickelt. Wenn der umgarnte Kunde in der Sicherheit gewogen wird, mit der Kaufentscheidung auf der richtigen Seite zu liegen, hat der Verkäufer gewonnen und kann sich gegen digitale Bestrebungen durchsetzen. Dann helfen die Kaufempfehlungen und Produktbewertungen nicht mehr, die aus den Daten von ähnlichen Kundenzielgruppen oder den digitalen Freunden entstammen.

Neue Verkäufer braucht der Handel

Der deutsche Einzelhandel braucht Top-Verkäufer, um den Kampf gegen den Digital Commerce nicht zu verlieren. Leider gibt es von diesen Verkaufsexperten bis auf wenige Ausnahmen zu wenig. Diese betreiben ihre Ladengeschäfte aus einem unternehmerischen Antrieb heraus. In seiner eigenen Fashion-Boutique wird der Verkäufer genau das eine richtige Kleidungsstück in der ersten Beratung auswählen, dass den Kunden individuell begeistert. Der angestellte Mitarbeiter in einer größeren Handelskette wird dagegen nur nach dem Null-Acht-Fünfzehn-Prinzip handeln und keinesfalls die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden berücksichtigen, sondern nur das Erlernte wiedergeben, das nächstbeste Kleidungsstück greifen und kaum Gestaltungsspielräume für individuelle Rabatte oder Incentives gegenüber dem Kunden einräumen.

Die notwendige Wertschätzung kann dieser eine Verkäufer dem Kunden erweisen, der individuell berät und den Preis eines Onlineshops sogar adhoc unterbieten kann. Weil er seinen Einkaufspreis genau kennt, den Kunden für die Zukunft gewinnen will und so einer der Händler in der Einkaufsmeile sein wird, der auch in den nächsten fünf Jahren sein Geschäft führen kann. Dieser Verkäufer lädt den Kunden zum Kaufen ein, nutzt den richtigen Moment für die richtige Entscheidung und führt den Kunden auf dem gesamten Weg. Dem Kunden immer genau diesen einen Schritt voraus zu sein und das Wissen – und damit die Macht – zu besitzen, was der Kunde möchte, bevor er selbst es erkannt hat.

Wer ist der Experte: Retailer vs. Kunden

Wenn der Verkäufer genau zu dem Experten wird, der den Kunden durchleuchten kann, werden Individualisierung, emotionale Verbundenheit, Nachhaltigkeit und Vertrauen in Form von Convenience zu dem entscheidenden Kriterium, ob der Retailer oder der Onlinehändler siegen wird. Von dieser Sorte Verkäufer wünschen sich digital denkende Kunden mehr. Der Einzelhandel in Deutschland kann sich für die Zukunft rüsten, wenn der Wandel in den Köpfen erfolgt. Sonst wird dem Retail die Existenzgrundlage entzogen und der Digital Commerce wird kaum noch aufzuhalten sein. Der deutsche Einzelhandel, die Retailer und die Verkäufer sollten die Chance ergreifen, und dem Verdrängungswettbewerb den Kampf ansagen. Die exponierte Stellung als Top-Verkäufer kann ein Mittel sein, um die Ideen der Digitalen Transformation zu adaptieren, ohne grundsätzlich das eigene Geschäftsmodell des Einzelhandels umzukrempeln. Möge der Bessere gewinnen.