Bringt die Arbeitslosenquote jetzt den Aufschwung für den Flimmerkasten?

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Eine alte Freundschaft verbindet unglaublich viele Menschen mit einem typischen Alltagsgerät. Der Fernseher begeistert seit etlichen Jahren jede Zielgruppe. Von der Retrospektive aus gesehen wird die Mediennutzung schon ab drei Jahren bei den Zuschauern gemessen und bis ins hohe Alter verfolgt. In der Kindheit wurden früher vermutlich viele Sprösslinge vor die viereckige Kiste gesetzt, damit sie beschäftigt waren, während die Eltern anderen Beschäftigungen nachgingen. Oder es gab kein Fernsehen, so dass die Kinder sich danach zu sehnen begannen. Heute versuchen wir hochoffiziell als aufgeklärte Eltern diesem Treiben ein Ende zu setzen und so spät wie möglich den TV-Konsum den Kindern zu gestatten. Doch in der Jugend vieler Mitbürger lief der Flimmerkasten durchgängig. Vornehmlich in den 80ern und 90ern des letzten Jahrtausends wurde MTV groß, etwas später gab auch Viva den halben Tag in den Kinderzimmern den Ton an.

Folglich vollzieht die Stellung des Fernsehers mit dem Reifeprozess der Menschen auch einen Wandel. Bereits in der Ausbildung oder im Studium, aber spätestens im Berufsleben findet sich weniger Freizeit, um die Bewegtbildinhalte im vollen Umfang aufzusaugen. Aufgrund des Zeitmangels entwickelt sich der TV-Konsum von reiner Berieselung zur berieselnden Entspannung am Abend nach dem Motto „Füße hoch und zurücklehnen“. Das typische Leanback-Prinzip wird von unzähligen Zuschauern zelebriert. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Glotze im späten Alter mit optional intensiver Lautstärke erneut den lieben langen Tag im Dauersendebetrieb läuft. Manchmal sogar über den Tod der Zuschauer hinaus. Doch in der Jugend und im Berufsleben erfreuen wir uns an der werberelevanten Zielgruppe, einer der womöglich wunderbarsten Erfindungen, wenn gleich auch Lügengeschichte aus der Feder des Privatfernsehens. Schließlich ist ein kaufkräftiger 14-Jähriger üblicherweise eine absolute Ausnahme, weil einen Sportwagen zu kaufen erst in einem gewissen Alter dank monetärer Mittel möglich wird. Ungeschoren betrachtet beeinflussen die Kinder das Kaufverhalten ihrer Eltern und die Werberelevanz beinhaltet auch die langjährige Markenbindung, ja förmlich eine Prägung auf bestimmte Marken, die in unserem täglichen Leben über den Bildschirm in 30-60 Sekunden abgefeiert werden. Werbung für Zielgruppen in einem linearen Medium.

Die Maschinerie der TV-Industrie läuft scheinbar unaufhaltsam. Laut einer aktuellen Analyse von media control schalteten die Fernsehzuschauer hierzulande im Schnitt 223 Minuten täglich ein. Täglich bis zu 3:45 Stunden hängen die Deutschen vor dem Flimmerkasten, was eine Steigerung um ca. elf Minuten im Vergleich zum Vorjahr und die höchste Sehdauer seit 1992 bedeutet, dem offiziellen Start des analytischen Messverfahrens für die aktuelle Auswertung in der Einschaltquotenvermarktung. Im direkten Vergleich zwischen den einzelnen Bundesländern kamen die Einwohner aus Sachsen-Anhalt auf stolze 276 Minuten täglich, dicht gefolgt von Thüringen (274 Minuten) und Sachsen (269 Minuten).

So mag man sich nach den Gründen für diesen Anstieg der Sehdauer fragen, der sich vor allem in den Bundesländern aus Ostdeutschland niederschlägt. Heute veröffentlichte die Bundesagentur für Arbeit die aktuellen Zahlen der Arbeitslosenquote für 2010. Zwar zeigt sich insgesamt eine Besserung am Arbeitsmarkt, was auf eine starke Konjunktur zurückgeführt wird. Doch im Vergleich mit der durchschnittlichen Sehdauer lässt sich behaupten: Die Sehdauer fällt in der Regel in den Bundesländern höher aus, wo eine verhältnismäßig hohe Arbeitslosenquote auftritt. Die nebenstehende Grafik verdeutlicht diese altbewährte Theorie anhand der offiziellen Zahlen. Die „TV-Muffel“ sitzen in Bayern und Hessen, generell wird in Westdeutschland weitaus weniger Fernsehen geschaut als im Osten, gleichzeitig sind bis auf wenige Ausnahmen die Arbeitslosenquoten der Bundesländer unter 10 Prozent, teilweise unter 5 Prozent.

Das klischeehafte Potenzial solcher Herleitungen in Form einer Kombination von der täglichen TV-Sehdauer mit Arbeitslosenquoten ist definitiv gefährlich und soll als Beispiel dienen, um die Wertigkeit solcher Analysen zu hinterfragen. Brauchen wir in der heutigen Zeit nicht mehr als nur den reinen TV-Konsum, um auf einen Aufschwung zu deuten? Der TV-Markt hat bereits aufgrund der hohen Nachfrage nach LCD-Fernsehern im vergangenen Jahr stark zugelegt. Dies könnte schon als ein erstes Indiz gedeutet werden, dass der generelle Anstieg der Sehdauer durch die Faszination für die neuen Endgeräte in vielen Fällen begründet ist. Zudem findet die Vermischung von Internet und klassischen TV-Inhalten auf Hybrid-Fernsehern immer stärker statt. Betrachten wir Sony Bravia Internet TV oder Philips Net TV sowie Google TV oder Boxee, finden die TV-Zuschauer gänzlich neue Anreize, um den Flimmerkasten einzuschalten.

Auch erweckt die Analyse von media control nicht den Eindruck, dass die Mediennutzung vieler Menschen mittlerweile parallel abläuft. Das typische Nutzungsverhalten kombiniert verschiedene Medientypen wie TV und Internet vor allem in den Abendstunden. Viel zu oft finden sich unzählige Nutzer bei Twitter oder Facebook und tauschen sich intensiv über aktuelle (Live-)Sendungen aus. Doch dieses Gezwitscher lässt sich bisher kaum in Verbindung mit der klassischen TV-Sehdauer bringen, um ein wirkliches Abbild der Mediennutzung darzustellen.

So verbrachten US-Amerikaner laut einem Bericht der New York Times (03/2009) bereits bis zu neun Stunden pro Tag vor einem Monitor. Ein Unterschied zwischen TV und PC wurde nicht mehr vollzogen. Zudem stieg laut einer Studie von goetzpartners (05/2010) die Nutzung von IPTV in Deutschland mit 157% im Vergleich von 2009 und 2008 deutlich.

Als trauriges Ergebnis lässt sich also feststellen: Analysen von klassisch ambitionierten Unternehmen müssen mittlerweile stark hinterfragt werden. Eine reine Lobhudelei auf das Fernsehen wäre vollkommen unangemessen. Dennoch wird das Fernsehen nicht einfach sterben, sondern sich gänzlich verändern und neu definieren. Die Linearität steht noch immer als absolutes K.O.-Kriterium einer gesamten Branche. Die Konvergenz von Medien und Inhalten über hybride Endgeräte wirkt sich von Vorteil aus. Die Gesellschaft spürt dies durch verschiedene Inhalteanbieter und Aggregatoren, wie YouTube, sevenload, Maxdome oder RTL Now. Deutschland holt jedoch auf, zudem nach dem BITKOM-Webmonitor (Juni 2010) bereits jeder zweite Internetnutzer WebTV schaut.

Wer spricht noch von der berüchtigten „Medienrevolution“? Die Revolution ist vorbei, wir befinden uns auf dem Weg in die Zukunft mit der „Evolution der Medien“, die im Wohnzimmer stattfindet. Diese Evolution fand dank Hybrid-TV im Weihnachtsgeschäft 2010 statt, als bereits mehr Fernseher mit Internetanschluss verkauft wurden. Wer heute einen Aufschwung für das lineare TV-Programm prognostiziert, sollte alle Faktoren und Trends berücksichtigen, die unserer Gesellschaft ein mediales Erlebnis in Zukunft beglücken werden.

Disclaimer: Als Autor dieses rein privaten Blogs möchte ich für alle Leser anmerken, dass ich als langjähriger Mitarbeiter von sevenload eine gewisse Einsicht und ein entsprechendes Verständnis für dieses Thema entwickelt habe. Eine Verwässerung des Themas ist demnach nicht angestrebt. Vielen Dank.

3 Kommentare
  1. Torsten Ambs sagte:

    Die Parallelnutzung wird in den meisten Publikationen vernachlässigt. Aufgrund der starken Vernetzungen wird es sehr schwer sein, einzelne Mediengattungen quantitativ einzuordnen. Die Summe der einzelnen Kanäle ist immer mehr als das Ganze. Vernetzte Parallelwelten auf Konsumentenseite erfordern vernetztes Denken auf Media- und Marketing-Seite sowie der Abschied von linearem Schalten. Wir nennen das: Willkommen im WIRRklichkeitsRAUM

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